Bernd Strasser zum 9. Mal Weltmeister

ITCC 2012, Portland, Oregon, USA 11./12. August 2012

Das war Spannung pur – so, wie es die Zuschauer lieben. Bei der Weltmeisterschaft im Baumklettern (International Tree Climbing Championship, ITCC 2012) in Portland (Oregon, Westküste USA) wurde am 11. und 12. August 2012 der neue Weltmeister ermittelt. Bis zum Schluss lagen die Teilnehmer Kopf an Kopf. Die Punkteverteilung war knapp wie nie zuvor. Die Leistungsdichte enorm hoch.

„Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich gewonnen habe. Die Konkurrenz war wahnsinnig stark“, wird Bernd Strasser am Tag danach in der SüdwestPresse zitiert (14.8.12). In einem Wimpernschlagfinale holte sich der Routinier und älteste Teilnehmer zum 9. Mal den Weltmeister-Titel. Die Wahl der optimaleren Route gab zuletzt den Ausschlag. Was viele „alte“ Kletterer schon wissen, zeigte sich im Finale deutlich: Nicht Technik oder Fitness sind das alleinige Kriterium für den Erfolg, sondern in entscheidendem Maße auch die Erfahrung und die Übersicht.

Strasser mit Sieg bei der ITCC 2012 weit vorne

Bernd Strasser war schon vor dem Wettkampf eine Baumkletterlegende und bestätigt das erneut auf beeindruckende Weise. Mit seinem 9. Weltmeistertitel nach 1999, 2000, 2002, 2003, 2004, 2006, 2007 und 2008 setzte er sich von den anderen Weltmeistern noch weiter ab. Jetzt steht er in der Hall of Fame alleine ganz oben an der Spitze. Kaum vorstellbar, dass es jemals jemanden geben wird, der ihn einholen könnte. Neunmal Weltmeister im Baumklettern und das ohne Sportförderung und ohne Leistungstraining. Bernd Strasser ist und bleibt ein Ausnahmetalent. Baumklettern wird nie die Massen erreichen, wie es die olympischen Sportarten erleben. Die Leistungen von Bernd Strasser jedoch stehen denen von Olympia oder anderen Athleten in nichts nach und sind auch für die Ewigkeit. Michael Phelps, Michael Schumacher, Bernd Strasser …

Video: ITCC 2012

ITCC 2012: ISA World Championship

42 Chapter-Meister und 19 Chapter-Meisterinnen – so viele Frauen wie nie zuvor – traten dort an, wo die höchsten Bäume der Welt zu finden sind: im Westen der USA in Portland (Oregon). Der offizielle ISA-Meister (inoffizieller Weltmeister im Baumklettern) sollte gekürt werden.

Bei den Männern betrug der Unterschied zwischen den ersten zehn Kletterern nach den Vorwettkämpfen der ITCC 2012 nur 15 Punkte. Spitzenkletterer wie Scott Forrest (NZ, Weltmeister 2011), Giovanni Ugo (IT, Europameister 2011), James Kilpatrick (NZ), Jared Abrojena (USA) oder Kevin Bingham (USA) schafften es trotz guter Leistung und hoher Punktezahl nicht ins Masters (Finale).

» Ergebnistabelle Männer (PDF)

Masters bei den Männern

Ins Masters schafften es die beiden Nordamerikaner Beau Nagan (USA) und Sean Hoondert (CA), der Australier Joe Harris (Vize-Weltmeister 2011) und die beiden europäischen Vertreter Johan Gustavsson (SE, Europameister 2012) und Bernd Strasser (DE). Joe Harris lag nach den Vorwettkämpfen noch mit einem Punkt vor Bernd Strasser auf dem ersten Platz. Insgesamt lagen die fünf Finalisten nur fünf Punkte auseinander. Auch solche Zahlen vermitteln einen Eindruck von dem hohen Niveau, auf dem der Wettbewerb ausgetragen wurde.

Im Masters Challenge setzte sich die Spannung fort. Nachdem alle Finalisten durch waren, herrschte unter den Zuschauern keine Einigkeit, wer den Wettkampf gewonnen hat und die Trophäe am Ende mit nach Hause nehmen wird. Erst die Punktauszählung brachte Gewissheit: Bernd Strasser hat es wieder einmal geschafft, zum neunten Mal! Sensationell. Es heißt, am Ende hätte die optimalere Route von Bernd Strasser den Ausschlag gegeben. Das schnelle Erkennen und Erfassen von optimalen Routen. Das hat ihm bei den Einzelwettbewerben den Titel im Arbeitsklettern gebracht. Es ist die Paradedisziplin von Bernd Strasser, in der er seine Erfahrung und sein Können voll ausleben kann.

Interessante Vorrunden-Ergebnisse bei der ITCC 2012

Bei der Bewertung der Ergebnisse der Einzeldisziplinen zeigt sich interessanter Weise, dass sich nur drei Mal ein Finalist unter den ersten Drei platzieren konnte und somit auf dem Podest zeigte. Bei der Betrachtung der Siegerehrung der Einzeldisziplinen hätte man eigentlich andere Masters-Teilnehmer erwartet. Z.B. stand Jared Abrojena (USA) in 3 von 5 Disziplinen auf dem obersten Treppchen (Schnellklettern, Footlock und Rescue). Beim Arbeitsklettern lag er „nur“ auf dem 8. Platz und beim Wurfleinen-Wettbewerb nur im Mittelfeld. Ihm fehlte nur 1 Punkt zum Einzug ins Masters. Aber Kontinuität in allen Disziplinen ist gefragt. Wer einmal patzt, der ist raus.

Enges Rennen zwischen Deutschland und Ozeanien

Der Sieger beim Arbeitsklettern war schließlich auch der Sieger im Masters Challenge. Genau das ist die Königsdisziplin, die Punkte bringt und zugleich die Paradedisziplin von Bernd Strasser. Aber es ist auch die Paradedisziplin des australischen Kontinents (Australien/Ozeanien, d. h. inkl. Neuseeland). Beim Arbeitsklettern waren unter den fünf Erstplatzierten vier von diesem Kontinent. Alle vier lagen nur einen Punkt auseinander. Einzig Bernd Strasser konnte Paroli bieten und diese Dominanz in die Schranken weisen. Es brauchte im Masters schon eine 35 Meter hohe Roteiche, um überhaupt einen kleinen Unterschied in der Weltspitze zu ermitteln. Genau das Richtige für Bernd Strasser. Je schwerer, desto besser für ihn. Fünf Punkte Vorsprung, das reichte für den Titel. Der Weltmeister ist wieder ein Deutscher, aber die weltbesten Kletterer scheinen in Australien und Neuseeland zu Hause zu sein. Bei den Langläufern sind es die Kenianer und Äthiopier, denen das Training in Höhenlage ihrer Heimat Vorteile verschafft, bei den Baumpflegern sind es die hohen Bäume, die in Australien und Neuseeland wahrscheinlich die besten Trainingsmöglichkeiten bieten.

Ergebnis bei den Frauen

Die Leistungsdichte bei den Frauen ist noch nicht ganz so hoch wie bei den Herren. Bei den Herren liegen von 42 Teilnehmern 85 Prozent zwischen 100 und 150 Punkten, d. h. im oberen Punktedrittel, bei den Frauen sind es ca. 50 Prozent. Aber die Leistungsdichte nimmt deutlich zu und das Niveau ist inzwischen sehr hoch. 19 Teilnehmerinnen haben sich dem Wettbewerb gestellt, so viel wie nie zuvor. Eine sehr erfreuliche Entwicklung.

» Ergebnistabelle Frauen (PDF)

Nach den Vorwettkämpfen zeigte sich ein ähnliches Bild wie bei den Herren: Unter den ersten zehn sind vier Europäerinnen, vier Nordamerikanerinnen und je eine Teilnehmerin aus Australien und Neusseland. Auch hier mussten bekannte Größen wie Kiah Martin (AU, Weltmeisterin 2003) oder Anja Erni (CH, Europameisterin 2012) dem harten Konkurrenzkampf beugen, denn für das Frauenmasters gab es nur drei Plätze zu vergeben. Diese Plätze sicherten sich Nicky Ward-Allan (NZ), Veronika Ericsson (SE, Vize-Europameisterin 2012) und Josephine Hedger (GB, Weltmeisterin 2008, 2010). Die dreimalige Weltmeisterin aus Neuseeland Chrissy Spence war nicht am Start. Bei den Einzeldisziplinen sicherten sich die Finalistinnen acht von 15 Medaillen (bei den Herren waren es nur drei von 15).

Und die Moral von der Geschicht’?

Bleibt die Frage für uns Normalos, sprich, die Baumpfleger, die Baumkletterern beruflich anwenden, aber keine Wettkampferfahrung haben: Wie lange kann man auf hohem Niveau klettern und damit im Arbeitsleben konkurrenzfähig sein? Sicher nicht pauschal zu beantworten. An der Weltspitze funktioniert es theoretisch mindestens bis 44 Jahre. Denn das ist das Alter von Bernd Strasser. Und bis sein Niveau auf das von uns Normalos gesunken ist, ist er bestimmt längst in Rente.

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