Aus der Praxis für die Praxis: Interview & Video Jürgen Unger

Jürgen Unger, langjähriger Ausbilder der Münchner Baumkletterschule, hat unser Verkaufsteam im Januar mit seiner Praxis-Erfahrung unterstützt. Am Ende seiner Aus-der-Praxis-für-die-Praxis-Woche haben wir ihm einige Fragen gestellt: Jürgen hat uns u. a. erzählt, wie er eigentlich vom Konditor zum Baumpfleger wurde. Außerdem demonstriert er in einem Video die von ihm entwickelte Multi Rope Bag.

Interview mit Jürgen Unger

Du bist gelernter Konditor. Der Weg zum Baumpfleger von dort aus ist ja jetzt kein gewöhnlicher. Wie bist du zur Baumpflege und zum Baumklettern gekommen?

Na, über Baumkuchen! Das ist doch klar … Nein, im Ernst: Nach der Ausbildung und nach meinen Gesellenjahren habe ich mir überlegt, dass ich gerne das Abitur nachmachen möchte. Das hab ich dann auch erfolgreich auf dem zweiten Bildungsweg in Angriff genommen. Im Anschluss habe ich mit einem Studium begonnen: Technischer Umweltschutz. Das hat mir aber nicht so gut gefallen, weshalb ich das wieder abgebrochen habe. Ich habe mich dann für Landschaftsarchitektur entschieden, denn studieren wollte ich auf jeden Fall.

Während diesem Studium habe ich bereits angefangen, im GaLaBau zu jobben. Darüber habe ich dann einen Baumpfleger kennengelernt. Und da bin ich dann hängen geblieben.

Nochmal kurz zurück: Wie bist du denn auf Technischen Umweltschutz gekommen?

Ich hab mich mein Leben lang eigentlich schon für Umweltschutz interessiert. Auch meinen Zivildienst wollte ich in einem Naturschutzgebiet machen. Das Studium „Technischer Umweltschutz“ wurde mir am Anfang auch angepriesen: Es ginge viel um Renaturierungsmaßnahmen und ähnliches, was mich sehr interessiert hat. Aber leider hat sich das während des Studiums als Irrtum herausgestellt. Es drehte sich alles eher um Deponie- und Kläranlagentechnik und so etwas. Und das ist einfach nicht so meins.

Und du wolltest lieber richtig „aktiv“ werden und bist dann also auf Landschaftsarchitektur umgeschwenkt. Hast du deine ersten Erfahrungen im Baumklettern auch schon während dieses Studiums gemacht?

Genau! Wie schon erwähnt, habe ich ja neben dem Studium bei einem GaLaBauer gejobbt. Der hat mich dann an einen Baumpfleger vermittelt. Der hat von vornherein besser gezahlt. Außerdem hab ich dort auch länger gearbeitet. Das heißt, ich hab in kurzer Zeit bei dem Baumpfleger mehr Geld verdient. Ich hab dort eine Woche gearbeitet und konnte davon anderthalb bis zwei Monate mein Studium finanzieren.

Bei dem Baumpfleger habe ich zuerst nur als Bodenraupe gearbeitet. Aus meinem Semester hat dort auch noch jemand gearbeitet, der aber bereits geklettert hat. Außerdem habe ich bei der Arbeit einen Baumkletterer getroffen, den ich bereits vorher schon kannte – Helmut Schwengels. Den habe ich dann einfach mal gefragt, ob ich auch mal hoch in den Baum könnte. Der hat mir das dann gezeigt und ich hab es dann so gemacht. Ganz einfach eigentlich!

Apropos Helmut Schwengels: Der ist ja ein quasi ein Veteran bei Baumklettermeisterschaften. Er war Deutscher Meister im Baumklettern 2000 und 2001 und Europameister 2007. Und du bist dort ja auch regelmäßig als Head Judge in der Rettung vertreten. Bist du über Helmut zur Meisterschaft gekommen?

Nein, über Helmut bin ich nicht dazu gekommen. Ich habe selbst aus Interesse bei einigen Meisterschaften als Teilnehmer mitgemacht. Nach einigen Teilnahmen wollte ich dann mal ein Jahr aussetzen, habe mich aber trotzdem als Technician bei der Rettung beteiligt – oben im Baum. Das hat mir eigentlich ganz gut gefallen. Trotzdem bin ich im nächsten Jahr dann erst einmal wieder selbst mitgeklettert. Da habe ich dann aber – auf gut Deutsch – total verkackt.

Ich muss echt sagen, Wettkampf ist einfach nicht mein Ding. Dieses Messen untereinander und auf den Punkt Leistung zu bringen und schnell usw. – das liegt mir einfach nicht. Deshalb habe ich dann – statt teilzunehmen – begonnen, in der Rettung unten als Schiedsrichter mitzuhelfen. Das war in Worms, Mark Bridge war damals – glaube ich – Head Judge. Das fand ich richtig spannend. Und so habe ich damit weitergemacht. Denn ich finde das nach wie vor immer noch richtig spannend. Irgendwann bin ich dann eben selbst Head Judge geworden.

Was genau findest du so spannend an der Rettung?

Die Rettung ist mit Abstand die individuellste der fünf Meisterschafts-Disziplinen. Ich versuche immer, Rettungen aufzubauen, bei denen es möglichst viele Wege gibt, den Verletzten aus dem Baum zu holen. Wenn es irgendwie machbar ist, auch mit zwei Aufstiegsseilen. Was mich daran reizt ist, zu gucken: Wie gehen die Leute damit um? Was finden die Teilnehmer für Lösungen? Wie gehen sie mit dem Stress um? Das ist auch immer ein wichtiger Faktor. Mehr Möglichkeiten bedeuten auch immer mehr Stress. Wenn du etwas Vorgefertigtes mit relativ klar vorgegebenem Spielraum hast, ist das einfacher.

Ich bin auch schon häufig gefragt worden, ob ich denn einen favorisierten Lösungsweg hätte. Den hab ich meistens nicht. Ich lass mich einfach überraschen, was jeweils dabei herauskommt. Und das finde ich jedes Mal auf’s Neue wieder wirklich spannend.

Kommen wir vom Vergnügen wieder zurück zum Ernst des Lebens: Du hast neben deiner eigenen Baumpflegefirma Eichhorn Baumpflege 2013 zusätzlich noch das Sachverständigen-Büro Unger Baummanagement gegründet. Wieso noch dieses zweite „Steckenpferd“?

Weil ich eigentlich mein ganzes Leben immer mit einem Hintern zwischen zwei Stühlen sitze. Eigentlich bin ich Handwerker, also Praktiker. Auf der anderen Seite bin ich aber eben auch Diplom-Ingenieur. Und ganz häufig ist es leider so, dass der Baumpfleger – vor allem auch von den eigenen Kunden – zwar als Baumpfleger, aber eben nicht als Baum-Sachverständiger wahrgenommen wird. Ich bin aber der Meinung, dass ein Mensch, der gewissenhaft Baumpflege betreibt, meistens fast noch mehr Ahnung hat, als ein Großteil der Sachverständigen in dieser Republik.

Das heißt, du hast Unger Baummanagement gegründet, um dein „Standing“ beim Kunden zu untermauern?

Ja, genau! In verschiedenen Situationen ist es oft so gewesen, dass es hieß: „Ja, Sie sind ja nur der Klettermaxe. Wir holen lieber nochmal einen Fachmann für die Baumkontrolle!“ Und das ist dann häufig tatsächlich in die Hose gegangen.

Auch deine Diplomarbeit – ein Wertungsraster für Baum-Naturdenkmäler – geht ja bereits in diese Richtung. Diese „Zweigleisigkeit“ hat also schon während dem Studium angefangen?

Absolut! Wie schon erwähnt, habe ich ja bereits neben dem Studium in der Baumpflege gearbeitet. Und schon da habe ich mich nicht nur für das Klettern und das Handwerk, sondern eben auch für den Baum interessiert.

Ich war während dem Studium übrigens bereits festangestellt. Eigentlich habe ich eher das Studium nebenher gemacht. Zwischendurch habe ich deshalb tatsächlich auch überlegt, abzubrechen und mich gleich ganz der Baumpflege zu widmen. Ich hatte dann aber nur noch ein paar wenige Prüfungen vor mir. Und die Deutschen sind ja auch wirklich sehr „titelhörig“ – deshalb ja auch Unger Baummanagement. Aus diesem Grund habe ich mir gedacht, dass der Titel Diplom-Ingenieur auf jeden Fall nicht schadet und habe das Studium dann durchgezogen.

Außerdem neige ich prinzipiell dazu, Sachen, die ich begonnen habe, auch fertig zu machen. Das finde ich sonst für mich persönlich auch sehr unbefriedigend.

Du hast erwähnt, dass für dich immer auch der Baum selbst im Mittelpunkt steht. Wie genau meinst du das?

Naja, ich bin vom Baum zum Klettern gekommen. Und nicht, wie viele andere Baumkletterer, vom Klettern zum Baum. Bäume sind für mich einfach äußerst faszinierende Lebewesen. Sie sind unglaublich vielfältig, wahnsinnig robust und gleichzeitig extrem sensibel auf diverse Problematiken. Ich finde – nach wie vor – die Bäume selbst einfach wahnsinnig spannend. Mir ist es tatsächlich sogar relativ egal, ob ich einen Baum kletternd oder mit dem Hubsteiger schneide. Ich klettere zwar mittlerweile eigentlich lieber, da dann der Lärm vom Hubsteiger wegfällt. Aber mir kommt es am Ende darauf an, den Baum fachgerecht und zu seinem eigenen Wohl gepflegt zu haben und nicht so sehr, wie genau ich dazu hoch in den Baum gekommen bin.

Deshalb auch der Workshop zum Thema „Bodenbelüftung“? Weil auch dabei das Wohl der Bäume und deren Gesundheit im Fokus steht?

Je, genau: Es geht auch hier um den Baum. Denn gerade im innerstädtischen Bereich haben viele Bäume ein großes Problem – ein Standort-Problem. Zwar schreibt die Norm 12 Kubikmeter Pflanzfläche für einen Baum vor. Aber häufig steht dieser Platz innerhalb von Städten nicht zur Verfügung. Das heißt, meistens werden Bäume in relativ kleinen Flächen gepflanzt – und haben so auch nur einen recht beengten Raum für ihre Wurzeln zur Verfügung. Auch das Thema Wurzelverdichtung ist sehr brisant.

Und genau bei diesen Problemen kann man mit der Bodenbelüftung und der Injektionstechnik für Entlastung suchen – und zwar nachhaltig! Da möchte ich helfen, dass es den Bäumen in unseren Städten wieder ein bisschen besser geht. Nunja, und meinem Geldbeutel hilft das natürlich auch …

Video: Multi Rope Bag – Jürgen Unger

Du bist nicht nur bei Entwicklungen in der Baumpflege zum Wohl der Bäume vorne mit dabei. Auch im Bereich Ausrüstung für’s Baumklettern bist du schon an der ein oder anderen Innovation beteiligt gewesen. Zum Beispiel hast du die Multi Rope Bag Seiltasche entwickelt, die du für uns auch in einem Demo-Video vorgeführt hast …

Als ich damals angefangen habe, hat es hier in Deutschland so gut wie gar keine Läden für Baumkletter-Ausrüstung gegeben. Das hat bedeutet, dass wir alle mehr oder weniger selbst herumgetüftelt und ausprobiert haben. Deshalb neigen vor allem Kletterer vom alten Semester wie ich dazu, Dinge selbst zu entwickeln und zu entwerfen.

Zwar ist das mit dem Fachhandel für Baumkletter-Bedarf heute zwar deutlich besser geworden. Aber dennoch versuchen viele Kletterer nach wie vor, ihr Material so zu optimieren, dass es gut in ihr Firmenkonzept bzw. in ihr Arbeitskonzept passt. Ich bin da keine Ausnahme. Diese Seiltasche, die ich eigentlich für mich konzipiert habe, passte hervorragend zu meiner damaligen Arbeitssituation – und nach wie vor auch noch zu meiner heutigen. Im Grunde ging es mir also darum, wie ich mein Material möglichst so sortieren kann, dass es perfekt zu mir und meiner Arbeit oben im Baum passt.

Zum Schluss noch einmal ein ganz anderes Thema: Wie bist du eigentlich Ausbilder bei der Münchner Baumkletterschule geworden?

2001 auf der Meisterschaft hat mich Olav Johswich, ein Freund von mir und damals bereits MBKS-Ausbilder, angesprochen. Er hat mich gefragt, ob ich nicht aus Lust hätte, dort als Ausbilder anzufangen, die Münchner seien gerade auf der Suche. Noch auf der Meisterschaft habe ich mich dann mit Olav und Johannes Bilharz, Geschäftsführer bei der MBKS, unterhalten und dann tatsächlich auch relativ zügig schon den ersten Kurs gehalten. Zu dem Zeitpunkt habe ich mich gerade auch selbständig gemacht. Den ersten Kurs habe ich aber tatsächlich noch vor meiner Selbständigkeit gehalten.

Deine Tätigkeit als Ausbilder und vor allem auch die SKT-A-Kurse scheinst du auch immer gleich zur Nachwuchsförderung bzw. zum Abschöpfen von Talenten genutzt zu haben. Zumindest haben Tom Eckert und Manuel Schuster anklingen lassen, dass du sie quasi vom Fleck weg noch während des Kurses angeheuert hast?

Natürlich! Das ist eine Fundgrube für gute Leute. Im Grunde genommen macht man das ganze ja genau deswegen …

Vielen Dank für deine Zeit und deine Bereitschaft, dich unseren Fragen zu stellen! Wie hat es dir denn insgesamt bei uns gefallen? Noch ein paar berühmte letzte Worte?

Das nächste Mal komme ich definitiv im Sommer! Da schlaf ich dann draußen in meinem Auto. Ich bin eben einfach mehr so der Outdoor-Typ. Aber mal im Ernst: Ich habe einfach unterschätzt bzw. falsch eingeschätzt, welcher logistische Aufwand hinter so einer Unternehmung wie dem Freeworker steckt. Und deshalb bin ich, glaube ich, auch mit falschen Erwartungen hier her gekommen. Nichtsdestotrotz war es auf jeden Fall eine interessante Erfahrung, auch mal auf der anderen Seite zu stehen. Danke für die Einladung!


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