Auswirkungen von Helm-Kameras auf die Sicherheit

Ein Bericht der BBC über den Gebrauch von Helm-Kameras und deren Auswirkung auf die Sicherheitsfunktion von Kletterhelmen

Artikel im Original zuerst erschienen im Arb Climber Magazin No. 7 (engl.)

Übersetzung: Elisabeth Morgenstern, Freeworker

Helmkameras immer beliebter

In den letzten Jahren verbesserte sich nicht nur die Qualität von Action-Kameras enorm. Gleichzeitig wurden sich auch immer häufiger bei BBC Produktionen für Point-of-View-Aufnahmen verwendet – vor allem bei bewegungsreichen Sportarten wie Felsklettern, Mountainbike oder Ski fahren. Aber nach dem Unfall von Michael Schumacher im Dezember 2013 tauchte in den Medien folgende Frage auf: Inwieweit beeinträchtigen Helm-Kameras die Schutzfunktion des Helms, wenn der Träger fällt oder etwas auf seinen Kopf hinabstürzt? Denn die Mini-Kamera, die Schumacher auf seinem Ski-Helm montiert hatte, soll ein ausschlaggebender Faktor für seine ernsten Kopfverletzungen gewesen sein. Das führte dazu, dass die verantwortlichen Funktionäre einiger Sportarten den Gebrauch von Helm-Kameras während Wettkämpfen verboten.

Obwohl offenkundig zur Befestigung auf Helmen entwickelt und vermarktet, geben die Hersteller der Kameras ihren Kunden folgenden Hinweis: Wer die Kameras am Helm montiere, tue dies auf eigene Gefahr und solle sich an die Anweisungen des Helmherstellers halten. Andererseits – im Bewusstsein dieses potenziellen Sicherheitsrisikos – weisen sie auch daraufhin, dass bei einem Zusammenstoß die Befestigung einfach abbrechen und somit die Schutzwirkung des Helms nicht beeinflusst werden würde. Bislang gibt es aber keine (veröffentlichten) Untersuchungen, die diese Behauptung wissenschaftlich untermauern würden.

Helmhersteller vs. Kamerahersteller

Die Helmhersteller wiederum raten deutlich davon ab, irgendetwas anderes, als ihre eigenen, geprüften Produkte – wie Stirnlampen – auf ihren Helmen zu befestigen. Verständlicherweise sind sie eher zurückhaltend, wenn es darum geht, Sicherheitstests für Produkte durchzuführen, die sie selbst weder herstellen, noch verkaufen.

Dieses Hin und Her zwischen Kamera- und Helmproduzenten hilft aber dem Anwender nicht weiter. Und auch die Diskrepanz zwischen den technischen Möglichkeiten der Produkte und den Sicherheitsstandards, die sie erfüllen müssen, ist hoch. Das hat dazu geführt, dass wir bislang nicht in der Lage waren, die Risiken richtig beurteilen zu können, die durch die Kombination von Helm und Kamera während unserer Produktionen entstehen.

Testprotokoll und Sicherheitsstandards

Im Sommer 2015 beauftragte BBC Safety das Transport Research Laboratory (TRL) mit einer Untersuchung zu diesem Thema. Sie sollten herausfinden, welche potenziellen Auswirkungen das Befestigen einer Mini-Kamera auf die Schutzfunktion des Helms hat – sprich inwieweit sich das Risiko verändert, eine Kopfverletzung zu erleiden.

Eine Auswahl häufig benutzter Helmtypen (Hartschale, Hybrid und EPS-Schaum) wurde getestet. Die Kameras wurden vorne, oben und an den Seiten befestigt – sowohl mit Klebehalterung, als auch mit Kopfband. Das Testprotokoll basierte im Wesentlichen auf BS EN 12492:2012 (EU-Sicherheitsstandard für Kletterhelme), BS EN 1078:2012 (EU-Sicherheitsstandard für Fahrrad- und Skateboardhelme) und der EU-Regelung 22.05 (EU-Sicherheitsstandard für Motorradhelme).

Kamera-Platzierung Befestigungsart Illustration
oben am Helm starre Befestigung Platzierung Helmkamera: oben, starr
oben am Helm verstellbares, belüftetes
Helmband
Platzierung Helmkamera: oben, Band
frontal am Helm starre Befestigung
(nach vorne ausgerichtet)
Platzierung Helmkamera: frontal, starr
frontal am Helm elastisches Band Platzierung Helmkamera: frontal, Band
seitlich am Helm starre Befestigung Platzierung Helmkamera: seitlich, starr

Drei verschiedene Helme wurden für die Tests verwendet:
Petzl Vertex Vent (Hartschale), Petzl Meteor (Schaum) und Petzl Elios (Hybrid)

Diese Standards halfen, ein Protokoll zu entwickeln, das die Energie messen sollte, die während eines standardisierten Aufpralls auf den Kopf übertragen wird. Außerdem konnte dadurch auch die Höhe der Energieübertragung festgelegt werden, ab welcher ein Helm den Test nicht bestanden hatte. Mit Hilfe wissenschaftlicher Literatur wurden weitere Grenzwerte zu möglichen Verletzungen festgelegt, um spätere Vergleichbarkeit sicherzustellen – nämlich eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent, eine Schädelfraktur zu erleiden oder für weniger als eine Stunde das Bewusstsein zu verlieren.

Untersuchungsergebnisse und Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse waren ein wenig überraschend. Wir hatten angenommen, dass es nicht nur einen einzelnen Belastungspunkt am Helm darstellen würde, wenn ein fester Körper darauf montiert wird – sondern auch, dass das die Rotations- und Beschleunigungskräfte signifikant erhöhen würde, die während eines Aufpralls auf den Kopf einwirken. Wir gingen davon aus, dass die Ergebnisse einen Anstieg bezüglich der Übertragung dieser Stoßkräfte auf den Kopf zeigen würden – potenziell hoch genug, um die standardisierten Verletzungsgrenzwerte zu übersteigen.

Erwartungen wurden widerlegt

Das war aber nicht der Fall. Tatsächlich wurden in keinem der über 70 Tests mit verschiedenen Helmtypen, Befestigungsarten oder -positionen die Grenzwerte durch die Kamera überschritten. Und das lag nicht ausschließlich daran, dass die Kamera bei einem Aufprall abbrach – wie vom Hersteller behauptet. Denn das war nur in ungefähr 40 % der Tests der Fall.

Kamerahalterungen absorbieren teilweise Energie

Aufnahmen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera zeigten, dass die Kamerahalterung sogar Energie absorbiert, während diese sich verformt. Was in den Tests der Fall war, wenn der Helm von einem schweren Gewicht von oben getroffen oder ein helmförmiges Kopfmodel von oben auf eine feste Oberfläche fallen gelassen wurde. Das bedeutet, dass die Kamerahalterung den Kopf sogar zusätzlich schützen könnte – was in den meisten, aber nicht allen Tests zutraf.

Helmkamera: Schema Aufprall

Schema zu den verschiedenen Aufprallarten mit oben am Helm fixierter Kamera:

Tests mit herabfallendem Gegenstand

Tests mit linear herabfallendem Model

Tests mit schräg herabfallendem Model

Kamera nicht prinzipiell von Vorteil

Das heißt aber nicht, dass die Kamera auf dem Helm prinzipiell eine gute Sache ist. Obwohl die Grenzwerte nicht überschritten wurden, verursachten die Kamera und ihre Halterung einen leichten Anstieg bei der Kraftübertragung auf den Kopf. Und zwar dann, wenn der Aufprall in einem Winkel erfolgte wie bei einem Streifhieb oder wenn eine Fläche unkontrolliert gestreift wird. Das ist zum Beispiel beim Sturz eines Kletterers der Fall, wenn sich die Kamera am Fels verfängt und der Kopf dadurch zurückgestoßen wird, ehe sich die Kamera wegdreht oder abbricht. Und dieses Ergebnis zeigten alle Tests unabhängig vom Helmtypus (Hartschale, Hybrid und EPS-Schaum) – obwohl Helme mit EPS-Schaum die anderen beiden Typen tendenziell übertrafen in Bezug auf die Reduzierung der Kraft, die auf den Kopf während eines Aufpralls unter diesen Bedingungen einwirkt.

Natürlich wurden diese Tests unter sorgfältig überwachten Laborbedingungen durchgeführt. Aus diesem Grund ist es nicht ohne weiteres möglich, aus dieser einen Studie den Schluss zu ziehen, dass die Sicherheit mit einer am Helm befestigten Mini-Kamera in jeder Situation gegeben sei. Variablen wie der Sitz des Helms, seine Größe und sein Gewicht sowie Aufprallwinkel und Energie des Objekts oder Falls beeinflussen das Endergebnis.

Größte Gefahr: Helmkamera an der Frontseite

Aber die Studie gibt zumindest ein gewisses Maß an Zuversicht, dass eine Kamera auf dem Kletterhelm nicht notwendigerweise bedeutet, einen Kompromiss in Sachen Sicherheit schließen zu müssen – zumindest bezüglich der Szenarios, die in dieser Studie untersucht wurden. Doch es gibt eine wichtige Ausnahme! Kameras sollten niemals an der Frontseite des Helms befestigt werden, so dass sie den Träger filmen können – etwas, das oft gemacht wird, um die Mimik einzufangen oder die Identität des Trägers preiszugeben.

In jeder Situation, in der es der Kamera prinzipiell möglich ist, unter den Rand des Helms zu schwenken – ob sie nun mit einer langen Stange oder direkt am Rand befestigt ist –, würde jeder frontale Aufprall (wie z. B. ein Sturz auf Felsen oder auf den Boden) die Kamera ins Gesicht drücken. Das wiederum würde schwere Verletzungen im Gesicht verursachen.

Dieser Bericht ist nur eine einfache Zusammenfassung einer detaillierten, ausführlichen Untersuchung. Wer mehr erfahren möchte, kann den kompletten Bericht (engl.) beim Transport Research Laboratory herunterladen.

Copyright © BBC 2016 & Transport Research Laboratory 2015

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One Reply to “Auswirkungen von Helm-Kameras auf die Sicherheit”

  1. Ein exzellenter Bericht über die möglichen Gefahren und Risiken einer befestigen Helmkamera. Mir waren die tatsächlichen Risiken so nicht bewusst, weil man, wie bei meiner ersten Klettertour durch die Berge dies überhaupt nicht in den Sinn kam bzw. darüber informiert wurden von den Tourveranstalter. Auch die Guides sagten diesbezüglich nichts.
    Klar, heute haben wir fast alle eine Actioncam wie GoPro, die vieles kann, inkl. Befestigungsvorrichtungen. Ich frag mich allerdings auch, inwiefern das hin und her zwischen Helmhersteller und Actionkamerahersteller den Endkunden den weiter hilft. Es muss erst um die Sicherheit gehen, dann der Rest, oder?
    Klar, wie haben als aufgeklärte Konsumenten auch die Pflicht nachzuforschen, aber wer macht das schon, Hauptsache der Preis stimmt, richtig?
    Empfehlenswert allemal.

    Dankeschön.

    Nic Hammaburg

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