Auf der Erde gibt es derzeit 3,04 Billionen Bäume und 7,2 Milliarden Menschen. Theoretisch bedeutet das, dass jeder Mensch sich um 422 Bäume kümmern müsste, vorausgesetzt alle wären Baumpfleger. Doch, wer kümmert sich in anderen Ländern um die Bäume? Wie arbeiten andere Baumpfleger in anderen Teilen der Welt? Welche Regeln und Vorschriften müssen sie beachten? Welche gefährlichen Tiere und Pflanzen gibt es? All diese Fragen wollen wir in der neuen Serie „Baumpflege around the World“ beantworten.
Unser erstes von zwölf Reisezielen für die Beantwortung dieser Fragen ist die Heimat des Königstigers, des Taj Mahals und Mogli aus dem Dschungelbuch: die Republik Indien. Das seit 1947 unabhängige Land, welches nicht nur neun Mal größer ist als Deutschland, sondern auch von drei Meeren und dem Himalaya Gebirge umgeben wird, dient für mehr als 1,4 Milliarden Menschen als Heimat. Die Bürger teilen sich zwei landesweite Amtssprachen (Englisch und Hindi) und 21 weitere Amtssprachen auf regionaler Ebene. Einer dieser Menschen ist Baumpfleger: Anadi Skoles. Er arbeitet bei TreeCare India, einer von nur vier Baumpflegefirmen des Landes.
Wir hatten das Glück, dass Anadi die Zeit gefunden hat, unsere Fragen bei einem Interview zu beantworten und uns so die Möglichkeit gibt, mehr über die Baumpflegeszene in Indien lernen zu können.
Anadi, wo bist du aufgewachsen und wo arbeitest du jetzt?
Ich wurde in Indien geboren und bin dort aufgewachsen. Bis vor kurzem habe ich die letzten 12 Jahre als Baumpfleger in Indien gearbeitet.
In Deutschland gibt es verschiedene Möglichkeiten, Baumpfleger zu werden. Wie läuft die Ausbildung zum Baumpfleger in Ihrem Land ab? Ist hier eine bestimmte Schulbildung oder ein Abschluss erforderlich?
In Indien gibt es nur sehr wenige bis gar keine Möglichkeiten, Baumpfleger zu werden. Es gibt eine große Anzahl von Baumkletterern, aber sie klettern alle mit minimaler oder ohne Sicherheitsausrüstung. Wir bei TreeCare India bieten eine gewisse Ausbildung in den technischen Aspekten der Baumpflege an, aber die einzige Möglichkeit, ein zertifizierter Baumpfleger zu werden, ist ein Online-Studium und dann die schriftliche ISA-Prüfung in einem Pearson-Zentrum.
Wie lange sind Sie schon in der Baumpflege tätig? Wie sind Sie zur Baumpflege gekommen? Und wolltest du schon immer Baumpfleger werden?
Ich arbeite seit 12 Jahren als Baumpfleger. Mein Vater hat ein Küstenaufforstungsprojekt auf etwa 10 Hektar durchgeführt. Ich bin mit dem Pflanzen und Schneiden von Bäumen aufgewachsen und hatte schon immer eine Vorliebe für das Klettern auf Bäumen, aber erst nach etwa einem Jahr Arbeit als Baumpfleger habe ich angefangen, mir selbst beizubringen, was richtige Baumpflegemethoden sind.
Unsere Follower auf Facebook und Instagram sind sehr klar aufgeteilt. 90% sind männlich, 10% sind weiblich. Was denkst du, wie ist die Verteilung zwischen männlichen und weiblichen Baumpflegern in deinem Land?
Ich würde getrost sagen, dass Indien zu 99,999% von Männern dominiert wird. Hoffentlich wird sich das ändern.
Wie würdest du den Zusammenhalt der Baumpfleger in deinem Land beschreiben? Wie bist du mit der internationalen Community verbunden?
Es gibt jetzt langsam etwa vier professionelle Baumpflegebetriebe in Indien, so dass unsere Community winzig ist, aber wir arbeiten miteinander zusammen. Ich habe jedoch das Gefühl, dass ich viel stärker mit der internationalen Baumpflegegemeinschaft verbunden bin und dass das Unternehmen TreeCare India, das meine Freunde und ich leiten, gut vernetzt ist und als erstes Baumpflegeunternehmen, das sich für gute Praktiken in Indien einsetzt, unterstützt wird. Ich bin sehr dankbar, in einer Branche zu arbeiten, die mich so unterstützt.
Kannst du dir vorstellen, im Ausland zu arbeiten? Wenn ja, wo? Wenn nein, warum nicht? Oder hast du bereits Erfahrung in diesem Bereich?
Ich habe in Australien und in einigen europäischen Ländern gearbeitet, wie Italien, Deutschland oder Österreich. Ich würde auch gerne nach Kanada und in die USA reisen. Das wird langsam aber sicher geschehen.
Nun zu den technischen Fragen.
Welche Geräte verwendest du? Importierst du die Ausrüstung oder gibt es auch lokale Hersteller?
Meine bevorzugte Ausrüstung ist Squire und Rope Runner für SRT-Arbeiten und Aufstiege. ZigZag und Komora für DRT, Baumbewegungsgurt, Silky Sugoi Handsäge, Protos Helm, Husqvarna Kettensägen, CT Footascender. Die gesamte Ausrüstung außer den Kettensägen wird importiert, wir haben keine Händler für Baumausrüstung in Indien. Es gibt zwar einige Seilhersteller, aber die sind nicht speziell für das Klettern in Bäumen geeignet, darauf würde ich mich nicht verlassen.
Welche Art von Vorschriften – für die Ausrüstung – gibt es in Indien? Wie streng werden diese befolgt und kontrolliert?
Es gibt einige Vorschriften für Ausrüstungshersteller, aber die Standards sind sehr niedrig. Die Produkte, die in Indien für Baumarbeiten hergestellt werden, sind unterdurchschnittlich.
Kletterst du SRT oder DRT? Oder beides in Kombination?
Beides. Es kommt sehr auf den Baum an. Ich glaube, dass man sich nie auf eine Methode festlegen sollte.
Was ist dein bevorzugtes Seilgerät oder dein bevorzugter Klemmknoten?
Das Seilführungsgerät.
Welches ist dein Lieblingswerkzeug oder -produkt?
Der TreeMotion Evo.
Die USA sind bekannt für ihre Sequoias, Japan für seine Kirschblüten. Welcher Baum ist für dein Land speziell und was ist dein Lieblingsbaum?
In Indien ist der Banyan Bengalensis einer unserer erstaunlichsten Bäume. Aber wir leben in den Tropen mit Tausenden von Arten und so vielen erstaunlichen Bäumen, dass es schwer ist, einen berühmten oder meinen Lieblingsbaum zu nennen. Aber die meisten Banyanbäume sind wirklich toll.
Kanada hat Bären, Indien hat Tiger, Deutschland den Eichenprozessionsspinner und Australien hat viele giftige und gefährliche Tiere. Was ist das gefährlichste Tier im Baum oder in der Umgebung, was dir in die Quere kommen könnte?
Das gefährlichste Tier was einem im Baum in Indien begegnen kann sind Kliffhonigbienen. Deren Gift kann tödlich sein und sie fallen schon bei der geringsten Störung über einen her. Außerdem gibt es Schlangen und Prozessionsraupen.
Aber nicht nur Tiere können gefährlich sein. Was sind die gefährlichsten Pflanzen auf die du treffen kannst?
Wir haben eine Vielzahl von Bombax-Bäumen, die mit Dornen und Stacheln bedeckt sind, die sehr gefährlich sind.
In Deutschland sind manche Arten von Flora und Fauna geschützt. Habt ihr auch Arten auf die ihr aufpassen müsst oder schützt ihr Dinge auf eure Art?
In Indien gibt es eine große Anzahl geschützter Bäume und viele Arten, die vom Aussterben bedroht sind, aber es gibt wenig bis gar keine Maßnahmen zum Schutz dieser Arten. Wir versuchen, bestimmte Baumarten zu schützen, so gut wir können.
In Deutschland startet die Hauptsaison für Baumschnitt (mit Rücksicht auf den Artenschutz) im Oktober und endet März/April. In welchem Zeitraum oder zu welcher Jahreszeit ist bei euch die Hochsaison in der Baumpflege?
Von August bis März haben wir die meiste Arbeit, im November gibt es einen Monat mit starkem Regen, in dem wir sehr wenig arbeiten.
Je nach Land, gibt es verschiedene Jahreszeiten oder Trocken und Regenzeiten. Was war die extremste Wetterlage, bei der ihr gearbeitet habt? Hitze? Eis? Regen? Sturm?
Ich würde sagen, das extremste Wetter war 42° C bei 98 % Luftfeuchtigkeit. Dein Körper verliert schneller Wasser und Mineralien, als du zu dir nehmen kannst. Nach einem Arbeitstag braucht man 2 Tage, um sich von der Dehydrierung zu erholen. Aber es gibt Tricks, um durchzuhalten.
In ein paar Ländern ist es nicht so einfach schnell einen Rettungsdienst zu rufen. Wie schnell erreicht euch ein Rettungsdienst in Notlagen, wenn ihr einen benötigen würdet?
Das hängt vom jeweiligen Ort ab, aber im Durchschnitt würde ich sagen, 45 Minuten.
Welche Rolle spielen die lokalen Regierungen und Gemeinden bei der Förderung und Unterstützung der Baumpflege in deinem Heimatland?
Die Regierung nicht, aber die lokale Gemeinschaft unterstützt eine ganze Menge.
Welche Zukunftsaussichten gibt es für die Baumpflege in deinem Heimatland und was kann getan werden, um die Gesundheit und Schönheit von Bäumen zu erhalten und zu fördern?
Ich denke, dass die Zukunft der Baumpflege in Indien riesig ist, aber der Wandel ist langsam und erst wenn die Menschen erkennen, dass Bäume eine Bereicherung und ein Luxus sind, wird es einen Wandel in der Branche geben. Erst wenn die Bevölkerung zu Förderern wird und die Stadtverwaltungen unter Druck gesetzt werden, sich um ihre Grünflächen zu kümmern, wird dies geschehen.
Und die letzte Frage. Was war euer spektakulärster oder schönster Arbeitstag, den du nie vergessen wirst?
Spektakuläre Arbeitstage gab es viele und sie waren alle von einer neuen Herausforderung geprägt. Aber ich würde sagen, der schönste war die Entfernung eines 45 Meter hohen Eukalyptusbaums. Das war mit dem Team an der Seite eines Berges, als die Wolken vom Tal heranzogen, Jonas auf den Baum neben mir kletterte und wir so aufgeregt und konzentriert waren, dass wir massive Äste herunterholten und die Wolken unsere Sicht verdeckten. Die Kommunikation und die Teamarbeit klappten hervorragend. Es war eine Baustelle, an die sich jeder von uns erinnert. Alle neuen Mitarbeiter bekommen die Geschichten erzählt und werden durch die Videos und Bilder inspiriert. Momente intensiver Herausforderungen zwingen einen dazu, sich zu einem besseren und sichereren Kletterer zu entwickeln.
Anadi, das war es mit dem Interview. An dieser Stelle nochmal Dankeschön für diese tolle Möglichkeit und deine Teilnahme. Unfassbar wie unterschiedlich die Szene in ein paar tausend Kilometern bereits ist. Bleib gesund und hab weiterhin viel Spaß bei der Arbeit. Wer mehr von Anadi und der Baumpflegeszene in Indien wissen will, kann gerne auf seinem Instagram Kanal vorbeischauen.
Unser nächstes Reiseziel ist noch für diesen Monat angesetzt: die Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesstaat Ohio. Bis dahin, climb up safe!
Von einer Ausbildung zum Baumpfleger habe ich hier tatsächlich zum ersten Mal gehört. Ich stelle es mir aber als eine sehr wichtige Arbeit vor, gerade heutzutage im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Da kann die Baumpflege sicherlich einen wesentlichen Beitrag leisten.
Das wäre einer von vielen weiteren Schritten in Richtung Klimawandel, da hast du Recht Lara.
Baumpflege ist wirklich sehr wichtig und sollte auf der ganzen Welt ein wichtiger Bestandteil. Ich spende jedes Jahr einen Beitrag und habe selber 2 Bäume im Garten. Den Baum pflegen und sauber zu halten, ist disziplinierte Arbeit.