SRT & SVLFG: Carsten Beinhoff im Interview

Die Single Rope Technique (SRT) ist in der professionellen Baumpflege und Baumkletterei seit Jahren ein umstrittenes Thema. Mit dem Verkaufsstopp der entsprechenden Geräte durch das Gewerbeaufsichtsamt Oberbayern erreichte der Konflikt Anfang 2017 einen vorläufigen Höhepunkt. Dennoch bleibt die Problematik bestehen, dass Technik und Geräte weiterhin in der Praxis in Anwendung sind – aber dieses Kletterverfahren noch in der Genehmigungsphase ist. Grundsätzlich gilt es dabei zwischen zwei Seiten zu unterscheiden. Auf der einen Seite ist das Gewerbeaufsichtsamt, das darüber wacht, welche Technik und welche Geräte in den Handel kommen. Kurz gefasst gilt hier für jede Ausrüstung, die in den Bereich der PSA fällt: „Ohne Norm und CE-Kennzeichen kein Verkauf“. Dies war auch der Anlass für den SRT-Verkaufsstopp im Jahr 2017.

Mann hinter einem Poduium

Carsten Beinhoff, SVLFG

Die zweite Seite ist die Berufsgenossenschaft (SVLFG – Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau), die sich um die Arbeitsverfahren und die Anwendung in der Praxis kümmert. Zuständig für den Bereich der Baumpflege und die seilunterstützte Klettertechnik ist die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). Mit deren Mitarbeiter und Baumkletterer Carsten Beinhoff haben wir uns über den Fall „Rope Wrench“ und die „SRT“ in der Baumpflege unterhalten.

Wie ist der aktuelle Standpunkt der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) zur SRT und ihrer Verwendung in der Praxis?

Grundsätzlich stehen wir dem Thema SRT in der Baumpflege sehr offen gegenüber.

Für neue Verfahren und Techniken gilt es entsprechende Regelwerke zu formulieren und die Standards zu setzen. Das sind langwierige Prozesse, an denen ich für den Bereich der SRT in den letzten Monaten intensiver arbeitete. Das Hauptproblem ist, dass das Arbeitsverfahren an sich – also die SRT – unserer Ansicht nach noch nicht ausgereift ist.

Welche Probleme ergeben sich aus der Verwendung der SRT? Probleme, die dazu führen, dass die Technik von der SVLFG für einen Einsatz in der professionellen Baumpflege als noch nicht ausgereift angesehen wird?

Da ist zum einen noch offen, wie genau die Rettung ablaufen kann. Zum anderen, wie das mit dem Ankerpunkt unten am Stamm funktionieren kann.

Rote Tasche mit Aufschrift "Rescue"

Wie richtig retten in der SRT?

Bei der Rettung müssen folgende Punkte fixiert werden: Wie haben die Systeme auszusehen, dass die Rettung gewährleistet ist? Baue ich einen Inline-Anker oder ein zweites System ein? Denn die ursprüngliche SRT hat ja folgenden Nachteil. Man arbeitet sich am Seil auf der einen Seite den Baum hoch und auf der anderen Seite wieder herunter.

Der Retter muss erst einmal in die Krone hochklettern, um dann dort – ähnlich wie beim Doppelseil – ein zweites System einzubauen. Und das ist dann eine Art der Technik, die nicht mehr der SRT entspricht. Zumindest wenn man nach dem geht, was Kevin Bingham (Anmerkung der Redaktion: Erfinder des Rope Wrench) zur SRT und deren ursprünglichem Zweck erklärt.

Beim Ankerpunkt unten am Stamm wiederum muss Folgendes geklärt werden: Wie ist es möglich, das Risiko zu minimieren, dass das Seil dort durchtrennt wird? Wenn zum Beispiel der Bodenmann schon mit der Motorsäge arbeitet und sich etwas verheddert oder das Seil reißt? Denn auch wenn der Aufenthalt im Gefahrenbereich verboten ist, ist es möglich, dass die Arbeiten in der Krone unterbrochen werden um Arbeiten am Boden durchzuführen.

Ein Inline-Anker mit Umlenkung, Klemmknoten, Butterfly-Knoten, doppelt abgewürgt etc. ist durchaus möglich. Wir und die Baumkletter-Szene müssen aber gemeinsam dazu einen passenden Standard entwickeln. Es kann nicht sein, dass jeder einfach irgendwie klettert und behauptet: „So wie ich das mache, ist es am besten.“ An der Entwicklung dieser Standards arbeiten wir gerade.

Wie beurteilt die SVLFG die Entwicklung des Marktes seit dem Verkaufsstopp der SRT-Geräte? Erst zuletzt hat der Hersteller ISC mit dem Rope Wrench Kit eine Lösung auf den Markt gebracht, die nach Angaben des Herstellers CE-konform ist.

Ich habe mitbekommen, dass viele einfach direkt in Amerika oder über Internet bestellt haben.

Das ist natürlich ein Problem. Wenn es in dieser Zeit wirklich zu einem Unfall mit einem nicht zugelassenen Gerät gekommen wäre, hätte es da definitiv Schwierigkeiten gegeben, z. B. in Form eines Regressverfahrens. Denn bei der SVLFG gibt es die klare Ansage: Wenn mit einem nicht zertifizierten Gerät ein Unfall passiert, tolerieren wir das nicht und leiten entsprechende Schritte ein. Bis jetzt ist es nicht so weit gekommen.

Was die speziellen Systeme mit Rope Wrench angeht, sind alle Komponenten geprüft und zertifiziert, das System getestet. Diese drei Systeme lassen wir zu. Das ist kein Problem.

Wie du schon sagst, ist der Rope Wrench (in Anlehnung an EN353-2) als System zertifiziert. Wie kam es dazu und ist jetzt alles gut?

Wir als SVLFG sind mit ISC in Kontakt getreten, was nicht unproblematisch war. Bei einem Treffen diskutierten Vertreter von ISC und der SVLFG Lösungsansätze, die nun von ISC regelkonform mit den zuständigen Stellen umgesetzt wurden (Anmerkung der Redaktion: Seit Ende September 2018 ist das nach EN 353-2 getestete Shop Rope Wrench Kit verfügbar). Auch die Klemmknoten, die die SKT anwendet, sind zertifiziert und zugelassen. Wir haben damit nichts gegen diese Systeme, wenn die entsprechenden Prüf- bzw. Testdokumentationen vorhanden, im Internet zu finden und einzusehen sind.

Was passiert im Schadensfall, wenn das neue System von ISC – korrekt nach Bedienungsanleitung und Herstellerangaben – angewendet wird? Greift der Versicherungsschutz des Nutzers in der Praxis oder bewegt er sich weiterhin auf nicht legalem Terrain?

Versicherungsschutz besteht umfassend! Es ist aber möglich, dass sich die SVLFG einen Teil der Kosten durch ein Regressverfahren zurückholt. Ein kurzes Beispiel: Erst neulich ist ein Zapfenpflücker verunglückt. Schnell kostet dieser Unfall mit Heilbehandlung und Rentenzahlungen bis zu 1,5 Millionen Euro. Wenn die Berufsgenossenschaft durch ein Regressverfahren aufgrund der Nichteinhaltung von Vorschriften einen Teil dieser Kosten zurückverlangt, ist das unter Umständen viel Geld. Ob ein Regressfall vorliegt, klären wir immer erst im Nachgang zum Heilverfahren.

Im privaten Bereich ist dies übrigens ähnlich. Schneidet sich zum Beispiel ein Privatanwender mit einer Motorsäge ins Bein und trägt keine Schnittschutzhose, obwohl er eine „Fachkunde“ für die Bedienung einer Motorsäge besitzt, kann die Krankenkasse Geld zurückfordern.

Bei zugelassenen, korrekt angewendeten Geräten und Systemen ist alles in Ordnung. Zwar stimmen die Rahmenbedingungen in der SRT bezüglich der Technik noch nicht, aber eine Klärung ist in Sicht. Jedoch ist im Einzelfall und je nach Umständen nicht ganz auszuschließen, dass es zu einem Regress aufgrund der Umstände kommt.

Wie genau sieht die Zusammenarbeit bzw. der regelmäßige Austausch zwischen der SVLFG und den deutschen Kletterschulen aus, die sich mit der Problematik der SRT und einer Lösung dieser Probleme beschäftigt? Hat sich die Zusammenarbeit seit dem Verkaufsstopp intensiviert?

Die Kletterschulen wollen in der SRT ausbilden und stehen mit uns in Kontakt. Der Bedarf ist da und vereinzelt liefen bereits erste Kurse. Wir als SVLFG sind an der Sache dran und arbeiten auch eng mit den interessierten Schulen zusammen.

Die Kletterschulen und die SVLFG treffen sich einmal im Jahr zu einem runden Tisch. Und auch generell telefonieren wir miteinander. Bestimmt ein- bis zweimal im Monat, mit manchen Schulen telefoniere ich wöchentlich. Dabei besprechen wir natürlich auch das Thema SRT. Wenn Fragen auftauchen, können die Schulen jederzeit anrufen. Und wenn ich Fragen habe, melde ich mich bei denjenigen, die es betrifft oder von denen ich die entsprechenden Informationen erhalte.

Gibt es einen vergleichbaren Austausch auch mit den Herstellern der entsprechenden Produkte?

Im Einzelfall wird im Rahmen von Herstellerberatung zusammengearbeitet. Problem ist, dass das Rope Wrench Kit derzeit das einzige aktuell zugelassene System ist (Anmerkung der Redaktion: Mitte 2019 plant der Hersteller Petzl mit dem ZigZag Plus zusammen mit dem Chicane ein zertifiziertes SRT-System auf den Markt zu bringen). Es gibt weitere Geräte, die nicht zugelassen sind, aber geklettert werden (Anmerkung der Redaktion: Zum Beispiel Rope Runner, Hitch Hiker oder Akimbo). Und ich persönlich finde es sehr schade, dass diese Systeme völlig vergessen werden.

Deshalb sollte das Augenmerk nicht nur auf dem Rope Wrench liegen, sondern ebenso auf den anderen Geräten. Denn die sind im Gegensatz zum Rope Wrench eindeutig prüfpflichtig. Die anderen Geräte, die für die SRT verwendet werden, sind definitiv Klemmgeräte. Somit müssen sie geprüft werden – was sie nicht sind. Da müssen sich die Hersteller der anderen Geräte nochmal hinsetzen und ihre Hausaufgaben machen.

Wie stehen die Chancen, dass die SRT in Zukunft zugelassen wird? Welche Bedingungen müssen dazu erfüllt sein, damit die Vorgaben an ein Arbeitsverfahren durch die SVLFG erfüllt sind?

Es fehlen jetzt nur noch Rahmenbedingungen. Die Schulen sind alle bereits entsprechend fortgebildet. Aber natürlich ist das Ganze auf dem Weg. Zwei Ausbildungskonzepte liegen mir bereits vor. Es muss nur noch innerhalb der SVLFG in die entsprechenden Regelungen eingearbeitet werden. Bis die internen Prozesse aber durchlaufen sind, kann es noch etwas dauern.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Cover des Kletterblattes 2019

Dieser Artikel erschien im Kletterblatt 2019, der Kurszeitschrift der Münchner Baumkletterschule und ist im Heft Teil einer Serie über die SRT. Unter anderem ordnet Bernhard Schütte, Ausbildungsleiter im Team der MBKS, das Thema ein und analysierte die Technik. Das Gespräch zwischen der Redaktion vom Freeworker-Blog und Carsten Beinhoff fand im Juli 2018 statt.

 

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6 Replies to “SRT & SVLFG: Carsten Beinhoff im Interview”

  1. Da ich auch in der Baumpflege tätig bin, bin ich auf diesen Artikel hier gestoßen und ich kann nur sagen, toll geschrieben und vor allem sehr informativ.

  2. Danke für das informative Interview. Was ich an der Sache im Speziellen bzgl. des Rope Wrench nicht verstehe ist, warum der Rope Wrench überhaupt eine Zulassung benötigt. Wenn ich mit einem Klemmknoten als Klemmgerät arbeite, ist dieser doch als PSA ausreichend. Der Rope Wrench dient lediglich als Bremskraftverstärker beim Abseilen. Ein Absturz würde auch ohne Rope Wrench verhindert und wenn auch nicht besonders praktikabel ist ein Abseilen ohne Rope Wrench möglich. Warum muss dieser also zertifiziert sein? Ähnlich wie eine Acht nicht zur PSA gehört, aber auch als Bremskraftverstärker z. B. bei der Rettung verwendet wird.

    1. Achter zählen, wie du schon angesprochen hast, nicht zur PSA. Insbesondere nicht zur Arbeitsplatzpositionierung, sondern in der Baumpflege nur zur Rettung und das in Verbindung mit einer Hintersicherung durch Klemmknoten. Der Rope Wrench dient wiederum der Arbeitsplatzpositionierung, womit das Gesamt-System zur PSA zählt. Und PSA braucht eine Zertifizierung. So ist die Vorgabe der SVLFG und an diese müssen wir uns als Händler halten. Vielleicht noch interessant für dich das Statement unserer Geschäftsführers zum Verbot der SRT-Geräte von 2017.

      1. Danke für die Antwort. In Meinen Augen ist das aber nicht schlüssig. Die Argumentation bei der Acht ist, sie gehört nicht zur PSA und darf nur mit einem Klemmknoten als Hintersicherung genutzt werden. Der RopeWrench wird doch genau auf die gleiche Weise genutzt, als Bremskraftverstärker mit einem Klemmknoten als Hintersicherung. Für mich ist das in der Anwendung genau das Gleiche! Wo übersehe ich den Unterschied?

        1. PS: Auch in der Rettung müssen doch alle Materialien der PSA die gleichen Anforderungen erfüllen wie in der Arbeitsplatzpositionierung.

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